SALON 0514 | Cooperative Praxis – Chancen und Risiken

Die Cooperative Praxis (CP) hat als konsensuales Verfahren – wie die Mediation – das Ziel, auf der Grundlage der Unterschiedlichkeit der Sichtweisen der Konfliktparteien eine interessengerechte und selbstverantwortliche Einigung herbeizuführen. Die Konfliktparteien werden im Vergleich zur Mediation nicht durch Mediatoren, sondern durch CP-Anwälte, Coaches oder Fachexperten (z.B. Finanzexperten, Pädagogen, Psychologen) unterstützt. Dabei arbeiten die professionell am Verfahren Beteiligten interdisziplinär zusammen.
 
Das Verfahren der Cooperativen Praxis entstand zwischen 1990 und 1995 in den USA, anfänglich unter dem Begriff Collaborative Law, später auch unter dem Begriff Collaborative Practice. Im Sommer 2007 fand das erste Seminar in Cooperativer Praxis in Deutschland statt.
Die Struktur und der Ablauf des CP-Verfahrens sind mit der Mediation vergleichbar.
 

Grundlagen der Cooperativen Praxis

Die Cooperative Praxis nutzt die Phasenstruktur der Mediation:

  • 1. Arbeitsbündnis
  • 2. Themensammlung und Bestandsaufnahme
  • 3. Interessenklärung im Hinblick auf gemeinsame zukunftsorientierte Entscheidungsfindung
  • 4. Einigung auf der Grundlage der Ausschöpfung aller Ressourcen (Kuchenvergrößerung)
  • 5. Implementierung durch rechtsverbindliche Gestaltung

Für die Arbeit im CP-Verfahren ist eine mediative Haltung der professionell Beteiligten in ihrer Kommunikation und hinsichtlich der Konsensfindung erforderlich, da auch das CP-Verfahren von interessengeleiteter und fairer Verhandlung statt positionsgeleiteter Verhandlung geprägt ist. Das Verfahren der Cooperativen Praxis beruht – vergleichbar mit dem Mediationsverfahren – auf folgenden Voraussetzungen:

  • Offenlegung der entscheidungserheblichen Informationen
  • Freiwilligkeit
  • Kooperations- und Konsensbereitschaft
  • Verschwiegenheit und Vertrauensschutz
  • Keine gleichzeitigen gerichtlichen Maßnahmen
  • Keine Änderung des Status quo während des Verfahrens
  • Hemmung der Verjährung gem. § 203 BGB

 

Verschwiegenheit und Vertrauensschutz

Es ist wichtig, den Aspekt der Verschwiegenheit und des Vertrauensschutzes für das CP-Verfahren genau zu beleuchten. Im CP-Verfahren verpflichten sich alle Beteiligten, dass die professionell Beteiligten in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren (falls keine Einigung erzielt wird) nicht als Zeugen benannt werden. Die professionell Beteiligten verpflichten sich, soweit gesetzlich zulässig, von allen ihnen zustehenden Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechten Gebrauch zu machen. Die Konfliktparteien vereinbaren verbindlich, keine Informationen in einem eventuell nachfolgenden Gerichtsverfahren zu verwenden, die in das CP-Verfahren vertraulich eingebracht worden sind, es sei denn, sie unterliegen einer Auskunftspflicht. Die Konfliktparteien müssen jedoch darüber aufgeklärt sein, dass nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass offengelegte Informationen in einem eventuellen Gerichtsverfahren nachteilig verwendet werden können.
 
Die professionell Beteiligten nehmen in dem Verfahren der Cooperativen Praxis unterschiedliche Rollen wahr.
 

CP-Anwälte

Die CP-Anwälte haben parteilich für ihre Mandanten einzutreten und sie einseitig rechtlich zu beraten, ohne das ganze Konfliktgeschehen aus dem Blick zu verlieren. Sie sind dabei wechselseitig für die Einhaltung der Struktur des Verfahrens und der Einhaltung der Kommunikationsregeln verantwortlich. Die CP-Anwälte schauen vom Standort ihrer Mandanten auf das gesamte Geschehen. Sie unterstützen ihren Mandanten als Fürsprecher bei seiner Entscheidungsfindung und geben ihm dabei den notwendigen geschützten Rahmen. Die CP-Anwälte sind gemeinsam mit den anderen professionell Beteiligten für den strukturierten Ablauf des Verfahrens verantwortlich. Diese Arbeitsweise erhöht das Potenzial der Lösungsfindung, da die Konfliktparteien und die CP-Anwälte (mit den anderen professionell Beteiligten) Lösungsansätze erarbeiten.
 

Coaches

Die Coaches geben ihrem Auftraggeber den Rahmen, Gefühle, Bedenken und Wünsche im Hinblick auf das Konfliktgeschehen äußern zu können und dadurch eine Klärung herbeiführen zu können. Sie achten dabei darauf, dass auch Verständnis für die andere Konfliktpartei entstehen kann. Die Coaches sind als Mitglieder des Netzwerkes ebenfalls für die Förderung des Einigungsprozesses zuständig.
 

Experten

Die Experten werden z.B. bei steuerlichen Fragen, Finanzierungen oder Grundstücksbewertungen in das CP-Verfahren einbezogen. Sie sind von den Konfliktparteien gemeinsam zu beauftragen. Die Experten nehmen dabei eine neutrale Stellung ein.
 

Kinderspezialisten

In familienrechtlichen Konflikten, die die Belange von Kindern betreffen, kann ein Kinderspezialist beauftragt werden. Er befindet sich in Kontakt mit den Kindern, um deren Lebenssituation in der Trennung wahrzunehmen und bringt deren Sorgen in das CP-Verfahren ein. Er unterstützt die Kinder und Jugendlichen, wenn sie in dem Verfahren selbst zu Wort kommen möchten. Falls die Eltern dies wünschen, gibt er ihnen Informationen, wie sie als Eltern ihre Kinder in der Trennungssituation am besten unterstützen können.
 

Disqualifizierungsklausel

Eine Besonderheit des CP-Verfahrens ergibt sich aus dem Umstand, dass alle professionell Beteiligten ihren Auftrag beenden, wenn die Verhandlung ohne Ergebnis endet. Für CP-Anwälte bedeutet dies explizit, dass sie ihren Mandanten nicht vor Gericht vertreten. Der Vorteil dieser Disqualifizierungsklausel liegt darin, dass die Konfliktparteien und die professionell Beteiligten ein hohes Maß an Motivation haben, um eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Gerade für die Konfliktparteien, die eine gerichtliche Auseinandersetzung scheuen, kann diese Klausel ein wichtiges Entscheidungskriterium für das CP-Verfahren sein. Die Disqualifizierungsklausel kann für die Konfliktpartei im Fall des Scheiterns des CP-Verfahrens aber auch zu Nachteilen führen:

  • Die Konfliktpartei muss sich einen anderen Rechtsanwalt suchen, ihn instruieren und abermals bezahlen.
  • Die Macht zur Beendigung des Mandantsverhältnisses liegt auch in der Hand der anderen Konfliktpartei und des anderen CP-Anwaltes.
  • Wenn eine oder beide Konfliktparteien allein aus Angst vor den Folgekosten das CP-Verfahren fortsetzen, obwohl sie der Auffassung sind, dass eine wirklich einvernehmliche Regelung nicht erzielt werden kann.

Arbeit im Team

Die professionell Beteiligten haben als Team von den Konfliktparteien die übereinstimmende vertragliche Legitimation (Entbindung von der Verschwiegenheit) erhalten, untereinander ohne Beisein der Konfliktparteien, Kontakt aufzunehmen. Ziel der Gespräche im Team ist, das CP-Verfahren im Verfahrensablauf gemeinsam so zu gestalten, dass das Ziel einer Einigung bestmöglich erreicht wird. Das Team hat zu beachten, dass die jeweiligen Interessen aller Konfliktparteien wirklich Beachtung finden und somit ein faires Ergebnis erzielt wird.
 
Die professionell Beteiligten – insbesondere die CP-Anwälte – haben mit dem Spannungsverhältnis zwischen der inhaltlichen Beratung und Vertretung ihres Mandanten und der gemeinsamen Strukturierung des Verfahrens im Team umzugehen. Konkret bedeutet dieses Spannungsverhältnis für die CP-Anwälte,
dass sie ihren Mandanten einseitig parteilich vertreten, mit der anderen Konfliktpartei und dem anderen CP-Anwalt interessenorientiert verhandeln und im Team den Verhandlungsablauf im Rahmen einer Allparteilichkeit strukturieren.
 
Die Arbeit der professionell Beteiligten im Team bedarf dabei einer besonderen Beachtung. Die Arbeit im Team mit Beteiligten aus unterschiedlichen Berufsgruppen erfordert eine intensive Vernetzung. Die Aufgabe des Teams besteht unter anderem darin, die unterschiedlichen Arbeitsweisen respektvoll anzuerkennen. Die einzelnen Teammitglieder müssen bereit sein, sich anderen Arbeits- und Sichtweisen zu öffnen. Die juristisch arbeitenden Teammitglieder sind in der Regel ergebnisorientiert geschult. Die Teammitglieder aus den psychosozialen Berufen schauen auf die gefühlsbelastenden Aspekte des Konflikts. Diese Herangehensweisen an den Konflikt spiegeln die Dynamik eines sozialen Konflikts wieder, der sich auf der unbewussten (emotionalen) Ebene und der ergebnisorientierten (rationalen) Ebene bewegt. Ohne die Arbeit auf der emotionalen Ebene ist es bei sozialen Konflikten meist nicht möglich, eine nachhaltige Lösung zu erarbeiten. Erst wenn die emotionale unbewusste Ebene deutlich wird und bearbeitet werden kann, entsteht Raum für eine rationale Lösung. Wenn beide Ebenen des Konflikts deutlich werden, kann eine Veränderung im Verhalten der Konfliktparteien zu sich selbst und im Blick auf die andere Partei entstehen. Dabei ist das Team immer Spiegel des Konfliktverhaltens der Konfliktparteien. Es bedarf daher einer ständigen Reflexion im Team. Die Teammitglieder müssen darauf achten, nicht untereinander in Konkurrenz zu treten. Sie müssen immer wieder eine achtsame Haltung ihren Mandanten gegenüber einnehmen und ihrer Fürsprecherrolle gerecht werden.
 
Die Teammitglieder müssen darauf achten, dass sie nicht zu einer Helferkonferenz werden. Sie dürfen nicht über die Mandanten reden und damit anfangen, sie zu bevormunden. Die CP-Anwälte müssen im Verhältnis zu ihrem Mandanten für die erforderliche Transparenz sorgen, damit der eigene Mandant immer das Gefühl hat, ausreichend informiert und beteiligt zu sein.
 
Die CP-Grundlage, dem eigenen Mandanten und dem Team gegenüber verpflichtet zu sein, wirft diverse Fragen auf:

  • 1. Fühlt sich der Mandant von seinem CP-Anwalt bei zu viel Engagement für die Idee des CP-Verfahrens verraten?
  • 2. Führt die Netzwerkbildung der professionell Beteiligten zu nicht gewollten „Verbrüderungen“ bzw. „Verschwesterungen“?
  • 3. Ist diese “Doppelverpflichtung“ standesrechtlich und ethisch vertretbar?

Zu 1.
 
Der Mandant hat seinem CP-Anwalt von der anwaltlichen Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber den anderen professionell am Verfahren Beteiligten entbunden, damit diese das Verfahren so strukturieren können, dass eine nachhaltige und faire Konsenslösung erreicht wird. Diese Arbeitsweise setzt ein hohes Maß an Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf die Befindlichkeit des eigenen Mandanten voraus. Der CP-Anwalt muss sich im Laufe des Verfahrens immer wieder vergewissern, dass sein eigener Mandant ihn nach wie vor als Fürsprecher sieht.
 
Zu 2.
 
Die professionell am Verfahren Beteiligten müssen sich bewusst sein, dass die Arbeit im Rahmen der Cooperativen Praxis anspruchsvoll ist. Es bedarf der Fähigkeit, das eigene Verhalten so im Blick zu haben, dass die Standortparteilichkeit, die Fürsprecherrolle und die Arbeit im Team auf der einen Seite auseinandergehalten werden können und auf der anderen Seite als Grundlagen des gesamten Verfahrens gesehen werden können. Konkret bedeutet dies, sich selbst immer wieder hinterfragen zu können.
 
Zu 3.
 
Die „Doppelverpflichtung“ ist unter dem Aspekt der Standortparteilichkeit und der Fähigkeit, das gesamte Konfliktgeschehen im Blick zu haben, zu sehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Auftrag, den der CP-Anwalt von seinem Mandanten erhalten hat, im Gegensatz zu der allgemeinen anwaltlichen Tätigkeit gerade darin liegt, dass auch die Interessen der anderen Konfliktpartei gesehen werden sollen, damit eine einvernehmliche und nachhaltige Vereinbarung erzielt werden kann. Der CP-Anwalt muss daher mit dem eigenen Mandanten sorgfältig den Umfang des Auftrages im Hinblick auf die gemeinsame Zielformulierung klären.
 
Um die Cooperative Praxis aus anwaltlicher Sicht mit vergleichbaren ethischen Grundlagen anbieten zu können, bedarf es einer lokalen Netzwerkbildung, die auch die Grundregeln der Cooperativen Praxis überwacht. Dazu gehört das Erarbeiten vergleichbarer CP-Verträge und Vollmachten. In Deutschland hat sich die „Deutsche Vereinigung für Cooperative Praxis“ gegründet. In München gibt es das „Münchner Netzwerk für Cooperative Praxis“. Im Bereich Wiesbaden haben sich Fachanwälte für Medizinrecht mit CP-Ausbildungen zusammengeschlossen. Im Raum Köln hat die RAK Köln die Initiative ergriffen, die Cooperative Praxis zu fördern, in dem die RAK Informationen für das rechtssuchende Publikum bereithält und für Rechtsanwälte Ausbildungsmöglichkeiten organisiert.
 

Wann ist die Cooperative Praxis dem gerichtlichen Weg und auch der Mediation vorzuziehen?

  • In Fällen, in denen die Eigenverantwortung der Konfliktpartei nicht ausreichend vorhanden ist, aber dennoch eine einvernehmliche Lösung gewünscht wird.
  • In rechtlich und sachlich komplexen Fällen, so dass die Konfliktpartei einen Fürsprecher in den Verhandlungen wünscht.
  • In Fällen, in denen die Konfliktpartei eine besondere psychologische Unterstützung (durch einen Coach) benötigt, um ihre eigenen Vorstellungen in das Verfahren einbringen zu können.
  • Bei hocheskalierten Konflikten, z.B. Erbrechtsstreitigkeiten über mehrere Generationen hinweg.
  • Bei Konflikten aus dem Bereich des Medizinrechts, wenn es um Auseinandersetzungen in Praxisgemeinschaften geht. (Aussagen von Medizinrechtlern: Ärzte scheuen den Gang zu Gericht und ebenfalls den Weg in die Mediation.)
  • Zur Lösung von komplexen länderübergreifenden Fällen, sei es in Wirtschaftskonflikten als auch in internationalen Familienrechtsstreitigkeiten.

Was ist zu tun, um das Verfahren der Cooperativen Praxis in Deutschland als weiteres Konsensverfahren einführen zu können?

  • Netzwerkbildung von am CP-Verfahren Interessierten
  • Erarbeitung der Sichtweisen der unterschiedlichen Professionen (Mediatoren, Coaches, Rechtsanwälte) auf das CP-Verfahren
  • Diskussion in den Netzwerken über für Deutschland geeignetste CP-Design
  • Klärung, welche Befähigungen die professionell am Verfahren Beteiligten mitbringen sollen

Ausbildungssituation

In der gegenwärtigen Situation werden CP-Ausbildungen mit einem Umfang von 22 Stunden angeboten, wobei eine Mediationsausbildung vorausgesetzt wird. Die vorausgegangene Mediationsausbildung hat den Vorteil, dass insbesondere das interessengeleitete und faire Verhandeln bereits erlernt worden ist. Das Verfahren der Cooperativen Praxis ist in Deutschland im Entstehen. Die Diskussionen werden (hoffentlich) zeigen, für welches CP-Design welche Befähigungen der professionell Beteiligten erforderlich sind.
 

Ausblick

Das Mediationsgesetz bezieht sich auch auf „andere Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung“. Die Cooperative Praxis ist ein Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung. Es bleibt zu hoffen, dass die Professionellen, die von der Berufsleidenschaft her mehr die Mediation und die Professionellen, die von der Berufsleidenschaft mehr die anwaltliche Tätigkeit bevorzugen, Mediation und Cooperative Praxis nicht als Konkurrenz zueinander sehen. Die professionell Beteiligten haben zu beachten, dass die Konfliktparteien und der Konflikt selbst das Konfliktlösungsmodell bestimmen und nicht von den professionell Beteiligten zu bestimmen ist. Zur Erweiterung des Konsenshorizonts bleibt die Erkenntnis von Paul Watzlawik: Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.
 
 

Ein Beitrag von Petra Stolter, Rechtsanwältin und Notarin, Mediatorin (BAFM)